Karola Paetzmann Karola Paetzmann

Frühjahrsputz im Tomb-Raider-Tempel

Nehmen wir an, Ihr Sechsjähriger hat mit Legosteinen in seinem Zimmer eine Reihe prachtvoller hinduistischer und buddhistischer Tempel errichtet. Nach acht Wochen kommt die Putzfrau aus dem Urlaub zurück. Da sie gerade mit ihrer Cousine telefoniert, übersieht sie das Schild „Achtung, gröster Saggralbau der Welt!“, tritt schon in der Tür auf den ersten Tempel, stolpert und kann sich erst am Ende des Zimmers am Fensterbrett fangen. So etwa sieht Angkor Wat heute aus…

Nr. 1 / Mesdames - Angkor Thom

Eins

Wie erfreulich: ein Hotel, in dem man nicht schon in der Lobby schockgefrostet wird. Ich fühle mich im Victoria Angkor Resort & Spa in Siem Reap aber auch deswegen umgehend wohl, weil hier rechnerisch gesehen eineinhalb Mitarbeiter nur für mich zuständig sind - also drei für uns beide - und da Richard im Moment fast keine Arbeit macht, kriege ich bestimmt noch einen halben von ihm ab.

Verströmte das 3 Nagas in Luang Prabang durch seine Architektur und Inneneinrichtung den Flair Indochinas, so wird das koloniale Aroma hier noch durch die Gäste verstärkt, die in der offenen Bar am Pool im leisen Summen der Ventilatoren ihren Cocktail oder ihren High Tea genießen. Das weitläufige, elegante Haus wurde im Stile der 1930er Jahre errichtet, und das überwiegend frankophone Publikum fügt sich hervorragend in das Ambiente ein. Während die Herren in weißem Hemd, heller Hose und dunkelblauen Wildleder-Moccassins im Kreise ihrer Freunde Zigarre rauchen, mäandern die Damen mit Nonchalance durch den Pool.

Madame. Keine verkörpert Dekadenz wie sie, mit einer Selbstverständlichkeit, als handle es sich um ein Grundrecht. Die Spezies der “Mesdames” findet sich heute in der gesamten internationalen Upperclass. Sie hält sich gerne im Ausland auf, ist dabei aber nicht mit der kosmopolitischen “Expat” zu verwechseln. Mich persönlich hat die französische Version der Madame schon in meiner Kindheit durch die Ausdauer fasziniert, mit der sie stundenlang unbeweglich wie ein Leguan mit gespreizten Fingern am Hotelpool lag, um auch zwischen Daumen und Zeigefinger perfekt braun gebrannt in ihr Ferienhaus an die Côte d’Azur zurück zu kehren, während die “Bonne”, die selber nicht schwimmen konnte, Matthieu und Sandrine hinter her rannte, um sie vor dem Ertrinken zu bewahren.

Mütterlicherseits geprägt von einer hart und ehrlich schaffenden protestantischen, vernunftgesteuerten Großmutter aus Norddeutschland und von einer ebenso hart und ehrlich schaffenden katholischen, emotionsgesteuerten Großmutter aus der Pfalz väterlicherseits, haben auch oben geschilderte Mesdames vierzehn Jahre lang zum Feintuning meines Naturells beigetragen, womit ich mich seit frühester Kindheit in einem durchaus interessanten, wenn auch etwas verwirrenden Spannungsfeld bewege.

Doch kommen wir nun zum eigentlichen Zweck unserer Reise: Den Tempeln von Angkor Wat.

Wie lassen sich diese beschreiben? Nehmen wir an, Ihr Sechsjähriger hat mit Legosteinen in seinem Zimmer eine Reihe prachtvoller hinduistischer und buddhistischer Tempel errichtet. Nach acht Wochen kommt die Putzfrau aus dem Urlaub zurück. Da sie gerade mit ihrer Cousine telefoniert, übersieht sie das Schild „Achtung, gröster Saggralbau der Welt!“, tritt schon in der Tür auf den ersten Tempel, stolpert und kann sich erst am Ende des Zimmers am Fensterbrett fangen. So etwa sieht Angkor Wat heute aus.

Nr. 2 / Rückeroberung - Ta Prohm

Zwei

Aber nun wollen wir uns den ehemaligen Sitz der Gottkönige endlich persönlich ansehen. Wir laden Sie ein, uns auf unserer geführten Tour zu begleiten. Wir starten um 8 Uhr, am Steuer des komfortablen, klimatisierten Wagens sitzt Fahrer Boo, und unserer Reiseführer heißt Sopia. Sie sprechen beide hervorragend englisch und gehen flapsig miteinander um wie Brüder, was für gute Stimmung sorgt. Nach jeder Tempelbesichtigung gibt es eine Flasche gekühltes Wasser und eine Dose Bier, was die gute Stimmung auch über die Mittagszeit aufrecht erhält. Die Straße ist frei von Schlaglöchern - was man mit einer Dose Bier in der Hand gut testen kann - und inmitten des lärmenden Dschungels finden sich hier und da gepflegte stille Örtchen mit Blumenrabatten am Eingang.

Siem Reap spricht man übrigens „Simripp“ aus, nur falls Sie die Abfahrt verpassen, weil Sie sich nicht zur rechten Zeit am rechten Tor des Tempels einfinden und einem unbekannten Tuk-Tuk-Fahrer erklären müssen, wohin Sie wollen. Unser Guide läuft nämlich erstaunlich schnell und hält sich so gar nicht an seine Rolle in der Beschreibung von Tiziano Terzani: „Die Franzosen, die die Bevölkerung in ihren Kolonien gut kannten, sagten: ‚Die Vietnamesen pflanzen Reis, die Khmer schauen zu, und die Lao lauschen, wie er wächst.‘“

Unsere erste Station heißt Angkor Thom. Erstaunlicherweise ist trotz des Geheimtipps, früh hinzufahren, schon jemand da. Alle, um genau zu sein. Das haben wir befürchtet, da wir ja spätestens seit dem Besuch am Machu Picchu wissen, dass wir uns in dem Moment, in dem ein „Geheimtipp“ bei Google auf der ersten Seite erscheint, genau gegensätzlich verhalten sollten.

Meist läuft es ja so ab: Man sieht das Foto einer einzigartigen Anlage, menschenleer, wie sie sich aus dem kühlen Dunst des frühen morgens erhebt oder im rot der herabsinkenden Sonne erstrahlt, und denkt: “Da will ich hin!” Ist man dann da, sieht man gar nix, weil einem der Schweiß in die Augen rinnt und in der Location ein Betrieb herrscht wie in der Tokyoter UBahn zur Rushhour. Anstatt sich jedoch zu ärgern, dass man seinen historischen, architektonischen oder archäologischen Wissensdurst in diesem Moment nicht stillen kann, sollte man einfach auf ethnologische Betrachtungen ausweichen.

Nr.3 / Almauftrieb - Angkor Thom

Drei

Und dafür sind die Chinesen immer zu haben. In Strömen fluten sie die Anlage von Angkor Thom, den Bayon und später auch Ta Phrom. Sie sind quirlig, sie sind dynamisch, sie sind bestens gelaunt, und jede einzelne Dame trägt am Körper einen ganzen Regenbogen an Farben. Sollte eine Nuance fehlen, findet sie sich spätestens auf der Kopfbedeckung ihrer Mitreisenden wieder. Fröhlich gackernd und schnatternd, die zum respektvollen Schweigen in den sakralen Stätten aufrufenden Schilder gänzlich ignorierend, schieben sie sich durch die Tempel.

Ich habe mich aus Sicherheitsgründen ein wenig in die Höhe begeben und erhalte von meinem Vorsprung aus ein Gefühl dafür, wie das belebte Angkor um 1200 ausgesehen haben mag. Man vermutet, dass die Stadt damals bis zu einer Million Menschen beherbergte. Das kann hinkommen.

Während ich also den Damen und Herren zusehe, wie sie sich gegenseitig fotografieren, brüllt mich plötzlich eine weibliche Stimme von hinten an. Ich stehe wohl mal wieder im Bild. Ich will mich gerade zurückziehen, als mich eine energisch dreinblickende Chinesin am Arm packt. Die nächsten fünf Minuten diene ich selber als Fotoobjekt, die Frauen winken und kreischen, springen nacheinander neben mich und lassen sich von ihren Freundinnen mit mir ablichten, weil „Landsmännin mit Abendländerin im Arm vor Tempel“ zu Hause noch viel mehr hermacht als nur „Landsmännin vor Tempel“ oder gar nur „Tempel“, wie ihn Richard zum völligen Unverständnis der Umherstehenden, deren Selfie-Spot er mal wieder blockiert, fotografiert. Immer munter, immer nett (das Brüllen war freundlich gemeint), sind die Chinesen nur halt immer auch sehr viele und sehr laut, weswegen sie oft nur hochnäsiges Naserümpfen ernten, auch von uns Deutschen, die vor nicht allzu langer Zeit selber dafür bekannt waren, sich das gesamte Büffet auf einen Teller zu laden, weil sich zwei Teller gleichzeitig ja so schlecht tragen lassen. Aber dann kamen zum Glück die Russen, um von uns abzulenken, und jetzt sind eben die Chinesen dran.

Nr. 4 / Gelassene Gottheiten - Bayon-Tempel

Vier

Gelassen blicken die in Stein gemeißelten Gesichter der Gottkönige von allen Himmelsrichtungen auf das Geschehen. Sie wundern sich inzwischen offensichtlich über gar nichts mehr.

Fast 30 Khmer-Fürsten regierten in Angkor. Kambodscha war aufgrund seiner Zugehörigkeit zum Funan-Reich ursprünglich indisch geprägt. Nachdem der Buddhismus im 12. Jh den Hinduismus verdrängt hatte, mussten Architektur und Dekor mancher Tempel entsprechend angepasst werden, was die komplexe Verschachtelung der Anlagen erklärt, und für die Steinbildhauer im Wesentlichen die Aufgabe mit sich brachte, die zuweilen recht frech dreinschauenden, tanzenden Apsaras (himmlische Wesen) abzutragen und durch wohlwollend blickenden, sitzenden Buddhafiguren zu ersetzen.

Doch zurück zu den Chinesen. Wie bei allen anderen Reisegruppen kann man sich auch hier darauf verlassen, dass sie Mahlzeitengesteuert sind. Punkt 12:30 Uhr ist die Anlage bis auf ein paar versprenkelte Pärchen westlicher Natur menschenleer. Da verzichten dann auch wir mal auf unsere Siesta, wenn wir dafür Angkor Wat bis 14h für uns haben. Es ist allerdings so unglaublich heiß, dass der Nagellack an den Socken klebt. Kleiner Tipp: Angkor-Wat-um-die-Mittagszeit bietet eine hervorragende Gelegenheit um zu testen, ob die vererbte Perlenkette auch wirklich echt ist.

Nr. 5 / Durchblick - Ta Prohm

Fünf

Wenn man dem Rücken und der Haltung eines Menschen von hinten ansehen kann, welchen Grundcharakter er hat, so ist unser Tuk-Tuk-Fahrer der gutmütigste Mensch der Welt.

Diese Vermutung erweist sich als richtig. Außerdem weiß er, was ein westliches Pärchen mit einer Kamera morgens um 7 Uhr wirklich will. Er fährt uns daher nicht gleich zum genannten Ziel, sondern parkt kurzerhand vor einem anderen Tempel. Gut, dann ist das jetzt eben so.

Es ist ein verwunschener Ort. Das frische Morgenlicht strömt durch die langen Fluchten des verfallenen Tempels. Auch hier sind die Gänge so konstruiert, dass es scheint, als blicke man am Ende in einen Spiegel, und auch hier sind die Bauten ineinander geschachtelt wie russische Puppen. Von den Fluchten führen steinerne, durch ihre hundertjährige Existenz dunkel glänzende und wie glattpolierte Schwellen in weitere Gänge, Fensterrahmen lenken den Blick in die Innenhöfe, gegenüber wieder Gänge, Fluchten, steinerne Schwellen.

Richard ist schon längst irgendwo verschwunden. Da ich gerade weder weiß, wo mein Mann ist noch in welchem Tempel ich mich befinde, spreche ich einen asiatischen Herrn an, der gerade dabei ist, sein Stativ abzubauen. Ob er mir vielleicht sagen könnte, wie der Tempel heißt. Obwohl er kein Englisch spricht, zeigt er sich ausgesprochen hilfsbereit, zückt sein Handy, und kurz darauf erklingt in der morgendlichen Stille des Tempels eine angenehme, - wenn auch etwas laute - weibliche Stimme aus dem Reich der Mitte. Mein Helfer lässt den chinesischen Audioguide durchlaufen, bis er auf dem Bild Banteay Kdei erkennt. Die Dame erklärt mir das Wichtigste zum Tempel, ich lausche aufmerksam und merke mir alles, damit ich es abrufen kann, sobald ich Hochchinesisch gelernt habe. „Aaaah“ nicke ich ankerkennend, bedanke mich und kehre zu unserem Tuk-Tuk zurück, in dem schon der Fotograf sitzt.

Nr. 6 / Abendstimmung - Bantea Srey

Sechs

Weiter geht es nach Ta Prohm (nach dem Blockbuster mit Angelina Jolie auch als „Tombraidertempel“ bekannt). Dort waren wir zwar schon gestern, aber dies ist ja einer der Gründe, warum wir im 3-Übernachtungs-Rhythmus reisen: Er gibt uns durch die zwei vollen Aufenthaltstage die Möglichkeit, an Orte zurück zu kehren.

Ta Prohm wird gerade noch geputzt. Wie immer staunen wir über das unergonomische Arbeitsmaterial: In Südostasien sind die Besenstiele immer zu kurz. Die nächste Stunde verbringe ich auf den Stufen einer der Treppen aus diesem schönen tropischen Hartholz. Manchmal muss ich mich einfach hinsetzen, um richtig zu sehen. Die Treppe vibriert. Wer kommt jetzt? Ah, die Koreaner, immer elegant. Wie auch die Japaner scheinen sie stets genau zu wissen, wie sie die vorgegebene Kleiderordnung perfekt umsetzen. Wir anderen sehen ja meist hilflos zusammengestückelt und wenig glamourös aus. Dann sehe ich nix mehr, weil sich eine chinesische Reisegruppe vor mir aufbaut. Die Reiseführerin erklärt. Die Gruppe antwortet mit einem kollektiven, langgezogenen „Aaaa“. Das kann ich schon.

Und nachdem uns unser Fahrer noch einen weiteren Tempel verordnet hat, mäandere ich Punkt 11:30 Uhr durch unseren Hotelpool, lege mich anschließend mit gespreizten Fingern in die Sonne und erscheine eine Stunde später vollständig drapiert in der Bar. Wie immer habe ich das Gehalt des Managers in 1-$-Scheine zerlegt und lasse graziös einen davon in die Rechnungsmappe segeln, bevor ich am Arm von Monsieur zum Restaurant schreite und später zum Hotelshop, um mir einen Schal für meine Sammlung zu kaufen. Man gönnt sich ja sonst nix. Dann geht es erstmal in die Siesta. Nachdem wir am Nachmittag noch eine Landpartie mit Abstecher zum bezaubernden Tempel Banteay Srei unternommen haben, kehren wir hochzufrieden mit uns und dem Dasein im Allgemeinen in unser Hotel zurück und beschließen, uns nach der Happy Hour („Happy“ vermutlich, weil man alles doppelt trinkt) noch einen kleinen Abend-Spaziergang zu gönnen.

Nr. 7 / Mona Lisa à la Khmer - Bayon Tempel

Sieben

Vor dem Haupteingang des Hotels verläuft eine schmale, einspurige Straße. Die Oknha Oum-Chhay Street muss überquert werden, um in den gegenüberliegenden Park Royal Independence Garden zu gelangen, an dessen Front die Avenue Charles de Gaulles vorbeiführt. Damit jeder heil aus der Geschichte herauskommt, beschäftigt das Hotel einen Guard, der sich bei Erscheinen eines Gastes in die Mitte der Gasse stürzt, mit den Armen wedelt und energisch pfeift, um den nicht vorhandenen Verkehr aufzuhalten.

Nachdem ich bei der ersten Überquerung der abenteuerlichen vier Meter Asphalt angesichts dieser ungewohnten Fürsorge zunächst erschrecke, finde ich schnell Gefallen an dem Schullotsen-Service und stöckle so oft zwischen Hotel und Platz hin- und her, bis mir Richard signalisiert, dass ich den Mann lange genug beschäftigt habe. „Moment, ich muss ihn noch was fragen!“ rufe ich und erkundige mich beim Guard, ob er nicht vielleicht mit nach Kreuzberg kommen und mir dort helfen könnte, zum Beispiel beim Überqueren der Hobrechtbrücke, aber ich kann mich nicht verständlich machen, und wie man „fahren wie die gesengte Sau “ übersetzt, das weiß ich leider schon gar nicht.

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